Geschichte
Nach der Auflösung des Klosters um 1561 wurde der Kapitelsaal zu verschiedenen anderweitigen Zwecken umfunktioniert, womöglich als Lagerraum und Schmiede. Später wurde der Raum auf Grund einer Grundwasserproblematik zu fast siebzig Prozent mit Sand gefüllt.
Im Jahr 1739 wurde unwissentlich über dem Gewölbe des ehemaligen Kapitelsaals das katholische Pfarrhaus Mariä Himmelfahrt errichtet. Dabei handelt es sich um ein bis heute erhaltenes eingeschossiges, barockes Gebäude aus Naturstein mit Mansarddach.
Der Kapitelsaal wurde erst, im Zuge der Sanierung des Pfarrhauses, im Jahr 1925 wiederentdeckt und ausgegraben. Veranlasst wurde dies durch den 1924 eingesetzten Pfarrer Wilhelm Rosch. Bei den Freilegungsarbeiten wurde außerdem das Grabmal von Philippus (1195-1225), dem vierten Abt des Klosters gefunden. Die Grabplatte sowie die sterblichen Überreste wurden 1954 in die Apsis der Abteikirche in Otterberg verlagert.
Zwischen 1926 und 1932 diente der freigelegte Kapitelsaal als Vereinslokal der Kolpingfamilie. Danach stand der Saal über Jahrzehnte leer. Erst nach einer weiteren Renovierung des Saals zwischen 1971 und 1973 wurde dieser wieder genutzt. Während den Renovierungsarbeiten an der Otterberger Abteikirche von 1979 bis 1991 wurden im Kapitelsaal Gottesdienste gehalten. Ende des Jahres 2019 wurden erneut Renovierungsmaßnahmen in Angriff genommen. Zu den Maßnahmen zählen der Einbau einer neuen Heizungsanlage, die Ausbesserung eines Säulenkapitells sowie die Erneuerung des Bodenbelags.
Heute ist der ehemalige Kapitelsaal des Klosters zur Besichtigung zugänglich, dient als Pfarrsaal und wird für verschiedene Veranstaltungen genutzt.
Bedeutung des Kapitelsaals
Kapitel (Capitulum) bedeutete ordensrechtlich den Abschnitt aus der Ordensregel, welcher der Klostergemeinschaft vorgetragen wird. Somit wird auch der Ort des Vortrags Kapitelsaal (domus capituli) sowie die dort versammelte Klostergemeinschaft genannt.
In diesem Saal wurde die tägliche Messe durch den Priestermönch gehalten. Im Anschluss daran betrat der Konvent (Angehörigen der Ordensgemeinschaft) den Kapitelsaal. Es wurden die Ordensregeln vorgelesen, worauf die disziplinarischen Maßnahmen und die moralischen Belehrungen des Abtes folgten. Hatte ein Mönch gegen die Ordensregeln verstoßen, so wurde er vor den Augen der anderen Mönche zurechtgewiesen. Im Kapitelsaal wurde außerdem das feierliche Gelübde abgelegt, sich für immer an das Kloster zu binden. Der Kapitelsaal diente aber nicht nur als Versammlungsraum, sondern auch als Vortragsraum für die Klosterleitung, als Empfangsraum für die Weltgeistlichen und als Grablege für die Äbte des Klosters.
Baubeschreibung
Der Kapitelsaal befand sich innerhalb der Klosteranlage südlich des Querschiffes in Form einer „Fortsetzung“ des Querhauses. Zwischen dem Kapitelsaal und der Abteikirche befanden sich die Sakristei und das Armarium (kleiner Bibliotheksraum). Der Kapitelsaal befand sich im Erdgeschoss des Ostklausurgebäudes (verschlossener Bereich der Ordensangehörigen). Es handelte sich um einen halbsakralen Raum, der zum Kreuzgang hin offenblieb und im weitesten Sinne zwischen der Kirche als sakralem Raum und den verschlossenen Wohnräumen des Klosters vermittelte.
Beim Otterberger Kapitelsaal handelt es sich um einen quadratischen, aus drei mal drei Jochen (Gewölbeabschnitt) bestehenden Raum. Die Abmessungen des Raums entsprechen einem typischen mittelgroßen Zisterzienserkloster von ziemlich exakt elf mal elf Metern und einer Höhe von 4,85 Meter. Der Raum wird durch vier massive Säulen in neun Gewölbefelder gegliedert, wodurch die Dreischiffigkeit des Raumes entsteht. Die konischen (kegelförmigen) Säulen mit rundem Querschnitt weisen ähnliche Kapitelle wie in der Abteikirche auf.
Die Verschüttung des Kellers des Pfarrhauses betrug einst zwischen zwei und drei Metern. Bei den Ausgrabungen Anfang des 20. Jahrhunderts fand man in einer Tiefe von etwa einem Meter einen Bodenbelag, bestehend aus an ihrer Oberfläche stark verbrannten Steinplatten sowie eine Esse (Feuerstelle). Daraus lässt sich schließen, dass sich im Kapitelsaal vor seiner Aufschüttung einst eine Schmiede befand. Der ursprüngliche Bodenbelag zu Klosterzeiten befand sich etwa in einer Tiefe von 2,1 Metern. Dort lagen Tonplatten mit einem schwarz-roten Muster. In dieser Tiefe stieß man auch auf die Grabplatte des Abtes Phillipus aus dem Jahr 1225.
Das ursprüngliche Niveau des Kreuzganges liegt heute sechs Stufen tiefer als die Klosterstraße. Von dort gelangt man durch das spätromanische Rundbogenportal nochmals über eine Treppe in den circa 70 Zentimeter tiefer liegenden Kapitelsaal. Dieses Stufenportal erinnert in seiner Form an das Konversenportal im südlichen Seitenschiff der Abteikirche. Das Laibungsprofil besteht aus einem dreifach gestuften Gewände mit Rundstäben.
Die Wände des Saals zeigen einen zweizonigen Aufbau. Der Kapitelsaal weist eine vertikale Jochteilung durch Halbsäulen auf, die aus den Wänden hervortreten.
Neben den beiden Seiten des Eingangs ist jeweils ein Rundbogenfenster zu erkennen. Diese waren wahrscheinlich aber Fensterpaare, die sich mit runden Doppelbögen zum Kreuzgang hin öffneten. An der gegenüberliegenden Seite des Kapitelsaals sind drei Spitzbogenfenster zur Belichtung des Raumes eingebaut worden. Ursprünglich handelte es sich dabei ebenfalls um romanische Rundbogenfenster.
An der Klosterstraße am Treppenabgang zum Kapitelsaal steht eine Figur aus Sandstein auf einem Holzgerüst. Sie zeigt den heiligen Bernhard von Clairvaux (1090-1153), einen heiliggesprochenen Abt und Mönch des Zisterzienserordens. Er wird mir Abtstab und einem Buch unter dem rechten Arm dargestellt.
Räumliche Lage und Erreichbarkeit
Der Kapitelsaal befindet sich im Keller des katholischen Pfarrhauses Mariä Himmelfahrt, südlich des Querhauses der Abteikirche in Otterberg. Parkplätze befinden sich nur wenige Zehnermeter weiter westlich vor dem Hauptportal der Abteikirche. Das Pfarrhaus mit Kapitelsaal befindet sich im Zentrum von Otterberg nahe der Hauptstraße, die von Norden nach Süden durch Otterberg führt.