Ehemalige Kammgarnspinnerei in Kaiserslautern

Das Areal der ehemaligen Kammgarnspinnerei liegt im Westen der Kaiserslauterer Innenstadt. Ursprünglich war die Kammgarnspinnerei AG Kaiserslautern in den Räumlichkeiten ansässig, die zwischenzeitlich als größter und modernster Fachbetrieb des Textilzweigs in Deutschland galt. Wegen veränderter Weltmarktbedingungen musste der Betrieb jedoch in den 1980er Jahren stillgelegt werden. Seitdem wird das Gelände als Kulturzentrum, Industriemuseum und Campus der Fachhochschule Kaiserslautern genutzt.

Geschichte

Die Kammgarnspinnerei AG Kaiserslautern (KGSK) wurde 1857 vom Regierungsrat Franz Flamin Meuth (1800-1884) in Kooperation mit dem elsässischen Textilfachmann Jean Schoen (1825-1887) gegründet. Das Betriebsgelände befand sich in der ehemaligen Ohligmühle im Lautertal, die zur damaligen Zeit am westlichen Stadtrand lag. Ein Betriebsgelände von 12.000 Quadratmetern und 50 Angestellte bildeten den Grundstein für die erfolgreiche Herstellung von Kammgarnen. Dieses Garn entsteht durch das Kämmen von Rohwolle, wobei kurze Faserstücke und Verunreinigungen, wie Pflanzenreste oder Ungeziefer aus dem Material entfernt werden. Dann wurde im Kammgarnspinnverfahren aus dem Kammzug der Schafswolle oder anderen feinen Tierhaaren, Chemiefasern oder einer Mischung dieser beiden Garne gesponnen. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg (1914-1918) florierte das Unternehmen, da die Zeit von Wachstum und Expansion geprägt war. Es wurden einerseits soziale Projekte, wie der Bau von Kammgarnhäusern für die Arbeitnehmer im Jahr 1874 realisiert, andererseits musste der Betrieb durch die schnell steigenden Produktionszahlen erweitert werden.

Im Jahr 1883 wurde der Westbahnhof gebaut, um den Anschluss der Kammgarnspinnerei an die Lauterbahn zu gewährleisten. Dieser wurde durch die steigende Anzahl an produzierten Spinnspindeln und Zwirnspindeln sowie die internationale Expansion dringend notwendig. Im Jahr 1914 arbeiteten etwa 2000 Menschen für die AG, was sie zum größten Industriebetrieb der Stadt machte. Ab diesem Zeitpunkt ist die Geschichte der Spinnerei von einer Berg- und Talfahrt geprägt. In den beiden Weltkriegen mussten viele Arbeiter an die Front und die Produktion wurde auf die Herstellung von Granaten und Papiergespinsten für Sandsäcke und Tragegurte umgestellt werden. Auch direkt nach dem Ersten Weltkrieg war die Herstellung von Garnen durch politische Unruhen nur eingeschränkt möglich. Ab 1928 erholte sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und ein Aufwärtstrend zeichnete sich in den Folgejahren ab.

Ein weiterer Rückschlag, den das Unternehmen erleiden musste, war der große Brand im Jahr 1936. Gleichzeitig war dieser jedoch der Auslöser für den Ausbau und die Modernisierung der Werksanlagen.

Die höchste Beschäftigungszahl gab es 1939, denn in diesem Jahr arbeiteten etwa 3000 Menschen für die Kammgarnspinnerei. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) wurde das Werk durch Luftangriffe zu etwa 90 Prozent zerstört. Der Wiederaufbau war schwierig, stand aber im Zeichen des allgemeinen Aufschwungs. Aus diesem Grund wurden die ersten Spindeln bereits im Oktober 1945 produziert und im Jahr 1947 konnten bereits 25 Prozent der Vorkriegsproduktion erreicht werden. Der Aufwärtstrend war bis 1974 zu beobachten. Ab diesem Zeitpunkt gab es einen Preisfall auf dem Wollmarkt, da die Wolle in Übersee billiger produziert und verkauft wurde. Die billige Konkurrenz aus Fernost läutete das Ende der europäischen Textilindustrie ein. Im Jahr 1981 wurde das Konkursverfahren der Kammgarnspinnerei AG Kaiserslautern eingeleitet und 14 Jahre später beendet. Die Einstellung der Produktion erfolgte im Jahr 1982 und die vorhandenen Maschinen wurden an die Volksrepublik China verkauft.

Seit 1989 stehen der gesamte Nordriegel und der ehemalige Westbahnhof unter Denkmalschutz.

Folgenutzung

Nachdem die Produktion der Kammgarnspinnerei eingestellt worden war, stellte sich die Frage der Nutzung des stillgelegten Areals. Auf dem Gelände des ehemaligen Industriebetriebs entwickelte sich eine Einrichtung mit breitem Bildungs- und Kulturangebot, die heute einen bedeutenden wirtschaftlichen und kulturellen Anziehungspunkt der Stadt bildet.

Im Jahr 1983 kaufte das Land Rheinland-Pfalz Teile des Geländes auf, um die Fachhochschule in der Morlauterer Straße um den „Campus Kammgarn“ zu erweitern. Es gestaltete sich als Herausforderung, die Produktionshallen A und B sowie die Verwaltungsbauten für die Hochschulnutzung umzubauen. Insgesamt wurden die vier Fachbereiche Architektur, Innenarchitektur, Bauingenieurwesen und Textiltechnik mit insgesamt 600 Studienplätzen in der ehemaligen Kammgarnspinnerei untergebracht. Heute sind etwa 2.700 Studenten der beiden Fachbereiche Angewandte Ingenieurwissenschaften sowie  Bauen und Gestalten Teil des Campus Kammgarn. Neben den Räumlichkeiten, die als zusätzlicher Standort der Hochschule dienen, war die Einrichtung eines Kulturzentrums vorgesehen. Dafür wurden das ehemalige Kraftwerk mit altem und neuem Kesselhaus und Turbinenhalle sowie die Werkstätten umgebaut.

Im Jahr 1988 wurde das Kulturzentrum Kammgarn unter der Leitung von Richard Müller eröffnet. Seit der Eröffnung waren viele nationale und internationale Künstler, aber auch Nachwuchskünstler für Konzerte und Veranstaltungen im Kulturzentrum. Bis 2018 traten mehr als 35.000 Künstler mit insgesamt mehr als 2,5 Millionen Zuschauern auf der Bühne der Kammgarn auf. An die ehemalige Spinnerei erinnert das Schaf im Logo des Kulturzentrums.

Ein Teil des ehemaligen Betriebsgeländes der Kammgarn Spinnerei wurde dem angrenzenden, im Jahr 2000 eröffneten, Gelände der Landesgartenschau in Kaiserslautern zugesprochen. Auf diesem wurde anlässlich der Eröffnung ein Teil der ehemaligen Kammgarnspinnerei zum Industriedenkmal erklärt. Die Gebäude der ehemaligen Kammgarnspinnerei wurden das Tor zur ersten rheinland-pfälzischen Landesgartenschau. Außerdem sollte ein Industriemuseum errichtet werden. In der ehemaligen Packerei wurde das „Kammgarnmuseum“ mit der industriegeschichtlichen Dauerausstellung „Vom Automobil bis zur Zigarette – 200 Jahre Industrie- und Wirtschaftsgeschichte in Kaiserslautern und der Westpfalz“ errichtet.

Objektbeschreibung

Die Kammgarnspinnerei repräsentiert die Industriekultur des 19. und 20. Jahrhunderts heute auf einer Fläche von etwa 7000 Quadratmetern. Im Nordwesten des Geländes liegen das ehemalige Kraftwerk mit altem und neuem Kesselhaus, die Turbinenhalle und die Werkstätten sowie im Osten die Produktionshallen A und B und die Verwaltungsbauten. Der südliche Block besteht aus Vorspinnerei, Lager und Wollmagazin. Das markanteste Bauwerk des Geländes ist der 62 Meter hohe Schornstein, der trotz fehlender Spinnerei immer noch erhalten ist. Er gilt als Erkennungszeichen der ehemaligen Spinnerei und kann als Wahrzeichen der Stadt Kaiserslautern bezeichnet werden.

Charakteristisch für das eingeschossige alte Kesselhaus sind der Treppengiebel und die hohen Rundbogenfenster. Die Schlosserwerkstatt wurde 1860 erbaut, im gleichen Jahr wie das alte Kesselhaus. Die Fassade des Sandsteinbaus wurde im Stil der Neorenaissance gestaltet. Hohe Rundbogenfenster mit bossierter (roh bearbeiteter) Rahmung und darüber platzierte Okuli (Rundfenster) erinnern an die Erdgeschossfassade der Kaiserslauterer Fruchthalle. Der westliche und nördliche Anbau sind mit einem flachen Dreiecksgiebel zur Betonung der Eingangsseite ausgestattet.

Ein weiteres Gebäude, das um 1890 von Carl Arnold Sequin konstruiert wurde, ist die Lagerhalle. Heute ist davon nur noch die gelb verputzte Fassade mit rotem Sandsteinsockel erhalten. Charakteristisch für das Gebäude sind außerdem die großen, von Sandstein umrahmten Fenster, bei denen ein schmaler Sims in die fensterlose Zone überleitet.

Der Brand im Jahr 1936 zerstörte einen Großteil des Betriebsgeländes, weshalb sechs Gebäude neu gebaut werden mussten. Alle im Folgenden genannten Gebäude gehen auf den Architekten und Stuttgarter Baurat Philipp Jakob Manz (1861-1936) zurück. Das neue Kesselhaus ist als unterkellerter Eisenklinkerbau mit Stahlkonstruktionen im Geist der „neuen Sachlichkeit“ gestaltet und die Turbinenhalle als schlichter, flacher Eisenklinkerbau mit Satteldach. Die Produktionshalle B war eine Sheddachkonstruktion auf genietetem Stahlskelett mit Stahlstützen, die für die Nutzung der Hochschule umgebaut wurde. Sie wurde gekürzt, sodass eine Lücke zur Halle A entstand, der Innenraum wurde in kleinere Einheiten geteilt und die Fassade verkleidet. Die Produktionshalle A besteht aus drei Stahlbetonschiffen, verglasten Firstbereichen und einem durch Stahlbetonrippen getragenen Satteldach.

Das Verwaltungsgebäude wurde in zwei Schritten erbaut. Zuerst entstanden der zweigeschossige Nord-Süd-Riegel mit Turm im Süden und die Brücke zum Wollmagazin, die den stadtnahen Eingang zum ehemaligen Firmengelände bildete. An der Brücke ist das Firmenlogo der Kammgarnspinnerei zu erkennen, das aus einem Widder und einer Spindel besteht. Um 1950 wurde im Stil von Philipp Jakob Manz an das Gebäude angebaut, wobei die unterschiedlichen Zeitpunkte der Baumaßnahmen nur an den hochformatigen Fenstern im Erdgeschoss zu erahnen sind. Merkmale des Verwaltungsgebäudes sind die rechteckigen Schwingfenster und das Schachbrettmuster an der Betondecke, das durch kleine Rillen erzeugt wird. Das eingeschossige Pförtner- und Feuerwehrhaus ist durch schmale Fensterbänder und ein überstehendes Dach gekennzeichnet.

Kulturzentrum Kammgarn

Das Kulturzentrum Kammgarn ist in den Räumlichkeiten des ehemaligen Kraftwerks und der Werkstätten untergebracht, die unter Denkmalschutz stehen. Zum Kraftwerk gehörten altes und neues Kesselhaus und die Turbinenhalle. Das Kulturzentrum wurde als erstes der drei Umbauprojekte im Jahr 1988 fertiggestellt. Es dient als Konzerthaus für Rock, Jazz, Blues oder Pop. Das Kulturzentrum umfasst das Kasino im großen Saal, den Cotton Club im kleinen Saal und zwei Bars. Jährlich wiederkehrende Veranstaltungen sind das Kammgarn International Jazzfestival und das Kammgarn International Blues Festival.

Vor dem Kulturzentrum steht das dreidimensionale Kunstwerk „Die Spindel“ von Robert Currie.

Campus Kammgarn

Der Campus Kammgarn der Hochschule Kaiserslautern ist in den Produktionshallen A und B und in den Verwaltungsbauten ansässig. Der Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung führte die Umbaumaßnahmen als Immobilien- und Baudienstleister für das Land Rheinland-Pfalz durch. Die Baumaßnahmen sahen einerseits Generalsanierungen, aber andererseits auch Neubauten vor. Die Neubauten wurden als Massivbauten mit einer Betonskelettkonstruktion und massiven Stahlbetonflachdecken errichtet. Im Jahr 2016 zog die Hochschulbibliothek in die Räumlichkeiten der ehemaligen Kammgarnspinnerei und im darauf folgenden Jahr wurde die Mensa eröffnet. Aktuell entstehen immer noch neue Gebäude, die als Lehrräume genutzt werden sollen. Das Projekt soll bis zum Jahr 2030 abgeschlossen werden.

Räumliche Lage und Erreichbarkeit

Die ehemalige Kammgarnspinnerei liegt westlich der Innenstadt von Kaiserslautern. Sie ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar, da es eine Bushaltestelle in unmittelbarer Nähe des Areals gibt. Außerdem bietet die Innenstadt von Kaiserslautern ausreichende Parkmöglichkeiten.

Kaiserslautern ist mit den umliegenden Städten gut vernetzt. Die Stadt liegt an der Bahnstrecke, die von Mannheim nach Saarbrücken verläuft. Außerdem gibt es Bahnstrecken von Enkenbach-Alsenborn, Lauterecken und Pirmasens nach Kaiserslautern.

Literaturverzeichnis

  • Land Rheinland-Pfalz, Ministerium der Finanzen Mainz. (2015). Umbau für die Lehre. Kammgarn.
  • Mario Aulenbacher. (2018). Lutra, Kulturmagazin Kaiserslautern, Nummer 14. Kaiserslautern.

Quellenangaben

Artikel-Historie

Koordinaten:

49° 26“ 50′ N, 7° 45“ 23′ O

Datierung:
1857

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